Ungewohnte Klänge I

Schon wieder eine Klavierschule? Ja, schon wieder eine, aber eine der besonderen Art von jungen Studierenden des Fachs Komposition für junge Pianistinnen und Pianisten, die das Klavier und die Musik in ihrer ganzen Breite erleben wollen und vielleicht zu eigenen ersten kompositorischen Versuchen angeregt werden. Es ist nicht neu, dass sich zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten den nicht unberechtigten Vorwurf anhören müssen, sie würden ihre Werke nur für ausgesuchte und hochqualifizierte Spezialisten schreiben; ganz im Gegensatz zu den berühmten Vertretern der gängigen klassischen Klavierliteratur. Folglich sei das allgemeine Desinteresse an neuer Klaviermusik eine ganz natürliche Konsequenz. Bei solch einer Diskussion der Lübecker Kompositionsklasse mit Jugendlichen im Jahre 2005 entstand die Idee einer gemeinsamen Semesterarbeit mit kurzen neuen Klavierstücken. In der Folge allerdings zog sich das stetig wachsende Projekt über mehrere Semester hin. Es hatte jedoch sein Gutes, denn wir konnten in zahlreichen Eigenversuchen mit jungen Schülerinnen und Schülern Dinge verbessern, revidieren und ergänzen. So entstand am Ende ein buntes Kaleidoskop von in der Regel kurzen Klavierstücken mit unterschiedlichen Problemstellungen, neuen Spieltechniken, ungewöhnlichen Klängen und Rhythmen etc., und all dies in verschiedenen Schwierigkeitsgraden. Eine Lehrkraft kann also je nach Notwendigkeit einen kleinen, fast spielerischen Lehrgang in die Welt zeitgenössischer Klaviermusik zusammenstellen. Dabei war uns wichtig, dass der Spaß am Spielen erhalten bleibt, aber zugleich auch gefordert werden kann. Wichtig erschien uns, nicht nur wie so häufig nach neuen Spieltechniken zu schielen (die natürlich bedeutsam bleiben und gebührend berücksichtigt wurden), sondern auch die moderne Variabilität konventioneller Parameter wie etwa Rhythmus und Harmonik in den Vordergrund zu stellen. Die ganze Sammlung nimmt keineswegs in Anspruch, vollständig zu sein. Wir würden uns umgekehrt freuen, wenn die Stücke auch als Anregung für eigene Versuche betrachtet werden. Zum Schluss möchte ich vor allem meiner ehemaligen Studentin Nathalie Fey Yen Herres danken, die die mühsame Aufgabe auf sich genommen hatte, die Werke zusammenzustellen und zu edieren.

Dieter Mack

2005 bat mich eine Klavierlehrerin der Hamburger Jugendmusikschule, für ihre zwölfjährige Schülerin ein Musikstück für einen Klavierwettbewerb zu schreiben. Es entstand das Stück „Les Hiboux“. Ich begleitete die Probenarbeit und war sehr beeindruckt, wie gut das Mädchen die ihr ungewohnten Klänge aufnahm und mit wie viel Ausdruck sie meine Musik spielte. Dies gab mir den Anstoß, mich mehr mit didaktischen Fragen der Vermittlung Neuer Musik zu beschäftigen, denn offensichtlich ist gerade Kindern und Jugendlichen ein Zugang zu Neuer Musik möglich, wenn die Lehrer und Eltern dies entsprechend unterstützen. Im Kompositionsunterricht sprach ich diese Themen an und dies führte zu diesem Projekt, das ein Teil der Kompositionsklasse von Dieter Mack realisierte. Dieses Werk möchte bestimmte Problemstellungen der Neuen Musik anhand von „Spielstücken“ vorstellen und greift die Probleme in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden wieder auf. So sollen Schüler im Verlauf des Unterrichts immer wieder die Möglichkeit haben, mit unterschiedlichen Aspekten der Neuen Musik in Kontakt zu kommen. Das Werk möchte vor allem den Unterstufen- und unteren Mittelstufenunterricht begleiten, um so auf die schwereren Werke der oberen Mittelstufe und Oberstufe vorzubereiten. Um diese begleitende Funktion zu gewährleisten wurden häufig unterrichtete Klaviermethoden betrachtet und analysiert, so dass die Inhalte auf typische Vorgehensweisen im Unterricht abgestimmt werden konnten. Außerdem wurden von uns typische Herausforderungen und Spieltechniken von Schlüsselwerken der Klavierliteratur Neuer Musik gesammelt und in Kategorien zusammengefasst. Aus diesen ergaben sich die Themen der einzelnen Bände und die Unterkapitel. Wenn die von uns fokussierten Bereiche auch vielseitig sind, können sie nur einen Versuch darstellen, einen größeren Ausschnitt der Vielfalt Neuer Musik am Klavier abzubilden. Für die jeweiligen Kapitel entschieden wir, ab welcher Schwierigkeitsstufe es sinnvoll ist, Stücke anzubieten und erstellten eine Tabelle, in der sich die Komponisten eintragen konnten für welchen Schwierigkeitsgrad und welche Themenstellung sie komponieren wollten. Da sich mehrere Studierende auch mit vierhändiger Literatur auseinandersetzten und diese im Unterricht einen wichtigen Stellenwert hat, beschlossen wir, auch vierhändige Stücke anzubieten. Eines dieser Stücke („Bienenstock“) führten meine Klavierschüler erfolgreich bei Jugend musiziert auf. Die Komposition der Werke erstreckte sich über mehrere Jahre. In gemeinsamer Seminararbeit sichteten wir das Material und besprachen das weitere Vorgehen. Freiburger Klavierlehrerinnen begutachteten erste Resultate und zeigten großes Interesse am Fortsetzen der Arbeit. Nach dem Abschluß meines Kompositionsstudiums sammelte ich die Stücke und füllte Lücken, um letztlich zu diesem vierbändigen Werk zu kommen, das Dank der Hilfe von Dieter Mack, dem Verlag Neue Musik und der Possehl Stiftung nun im Druck erscheinen kann. Ich hoffe, dass die Musik künftigen Klavierspielern Freude bereitet und die Sammlungen Lehrern eine Hilfe sind, Neue Musik auch schon in frühen Phasen des Klavierunterrichts zu integrieren.

Nathalie Fey Yen Herres