So populär die Motetten Bachs sind, so problematisch ist ihre Überlieferung. Nur von 2 Motetten sind Autographe und von Bach benutzte Stimmen erhalten, bei allen anderen müssen wir uns mit mehr oder weniger zuverlässigen Abschriften begnügen. Die derzeitigen Ausgaben der Motetten Bachs stützen sich im Wesentlichen auf den seinerzeit maßgeblichen Text der Neuen Bachausgabe (1965).
Inzwischen sind jedoch weitere Abschriften bekannt geworden, und unser Wissen um die Überlieferung der Werke Bachs hat sich erheblich vermehrt. Es war an der Zeit, die komplizierte Quellensituation der Bachschen Motetten einer kritischen Neubewertung zu unterziehen. Das Ergebnis ist ein in zahlreichen Details veränderter Werktext, mit dem wir hoffen, den Intentionen Bachs ein gutes Stück näher gekommen zu sein. Der Sammelband enthält neben den bekannten 6 Motetten auch 4 weitere, die jüngsten Forschungen zufolge zu den Motetten Bachs gehören: die in ihrer Autorschaft früher umstrittenen Werke "Ich lasse dich nicht" BWV Anh. 159 und "Jauchzet dem Herrn, alle Welt" BWV 160 sowie "O Jesu Christ" BWV 118 (das von Bach als Motette bezeichnet wurde, obwohl die mitlaufenden Instrumentalstimmen an einzelnen Stellen obligat geführt sind) und "Sei Lob und Preis" BWV 231 (eine Choralbearbeitung aus der Kantate BWV 28, die in den Quellen auch einzeln als Motette überliefert ist).