von Kristin Thielemann (30.04.2021)
Während der Corona-Krise haben Musiker sie für sich entdeckt – die „Challenges“. Im Sport schon seit vielen Jahren bekannt, hat die Trompeterwelt es 2016 mit der Arban-Challenge zu großer medialer Aufmerksamkeit in der Musikszene gebracht. Wie können wir diese selbstgewählten Herausforderungen für die musikalische Praxis nutzen?
Suchen Sie sich zuerst ein Ziel oder eine Herausforderung. Bekannte Musik-Challenges sind beispielsweise 100 Days of Practice oder 30 Days of Music. Alternativ können Sie natürlich auch ein völlig neues Format kreieren. Die meisten Challenges funktionieren zwar auch alleine, aber einen besonderen Drive entfalten sie, wenn man sie mit anderen zusammen durchzieht. Meine Schüler mögen die 14-Tage-Übechallenge, bei der wir die Übezeit aller addieren und herausfinden, wie hoch die Gesamtübezeit, aber auch wie hoch die durchschnittliche Übezeit der Mitspieler ist. Auf diese Weise ließ sich schon so mancher Schüler anspornen, der so feststellte, mit seinen täglichen 4,5 Minuten Übezeit sehr deutlich unter dem Schnitt meiner Musikklasse zu liegen.
Wer der 14-Tage-Übechallenge z. B. in der Musikschule gerne noch etwas mehr Wettbewerbscharakter verleihen möchte, kann eine zweite Instrumentalklasse mit ins Boot holen, sodass man sich gegenseitig anspornen kann. Welche Klasse schafft mehr Übezeit? Es empfiehlt sich hierbei, eine Lehrkraft und Klasse des gleichen Instruments auszusuchen, um eine gute Vergleichbarkeit zu schaffen. Denn auf einem Klavier hat auch ein Anfänger schnell 30 Minuten geübt, während junge Blechbläser oft nach 20 Minuten hoffnungslos ‘abgeblasen’ sind.
Zudem ist es oft fairer, das Gesamtergebnis auf die durchschnittliche tägliche Übezeit eines einzelnen Schülers herunterzurechnen. Bei einem Vergleich der Gesamtzeit hat sonst in vielen Fällen die größere Gruppe die Nase vorn. 14 Tage sind übrigens ein Zeitrahmen, der sich auch für Kinder und Jugendliche noch gut überblicken lässt und bei dem auch vom Üben weniger begeisterte Schüler gerne einmal mitmachen.
Challenges funktionieren am besten, wenn sie öffentlich gemacht wurden und einige Menschen davon wissen, damit man auch in Zugzwang gerät und dranbleibt: „Ich übe die nächsten vier Wochen konsequent eine Stunde pro Tag!“ – solch ein Ziel hat schon mancher vorzeitig aufgegeben oder sich selbst eine heimliche Verschnaufpause gegönnt. Wenn allerdings andere Menschen die Challenge beobachten, müsste man sich für seine kleine Verschnaufpause auch gleich eine gute Begründung überlegen. Da reißt sich der ‚innere Schweinehund‘ doch etwas mehr zusammen, statt die Beine hochzulegen.
Wenn Gleichgesinnte eine Challenge zusammen durchführen, oder sich einer bereits bestehenden Challenge anschließen, entsteht vielfach schnell ein schönes Gemeinschaftsgefühl: Wir sitzen alle im gleichen Boot! Wir alle kämpfen an manchen Tagen mit unseren selbstgesteckten Zielen, erfüllen sie einmal nicht wunschgemäß oder fallen in ein Motivationstief. Hier hilft das Erleben der Gemeinschaft: Denn zusammen nehmen wir manche Hürden leichter, wir lassen uns von den anderen Teilnehmern der Challenge mitreißen und können es auf diese Weise schaffen, über uns hinauszuwachsen.
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YouTube-Inhalte anzeigenKonkretes Ziel benennen. Je konkreter das gewählte Ziel ist, desto leichter wird es sein, dran zu bleiben – selbst wenn am Ende das Ziel nicht erreicht wird. Wenn sich also beispielsweise ein Klavierspieler zum Ziel nimmt, alle Präludien und Fugen von Das Wohltemperierte Klavier von Bach in 100 Tagen spielen zu können, wird er möglicherweise daran scheitern und am Ende nicht alle Stücke spielen können. Objektiv betrachtet hat er aber sehr viel gewonnen, weil er sich selbst ein Ziel gesetzt hat und sicherlich auf dem Weg dorthin gut vorangekommen ist und viel gelernt hat. Der erfolgreiche Abschluss der Challenge und somit das Erreichen des selbst gesteckten Ziels ist natürlich die beste Belohnung. Daher ist es ebenso wichtig, sich ein Ziel zu wählen, das man realistischerweise in der vorgegebenen Zeit erreichen kann.
Ziel visualisieren und in Etappen einteilen. Wer sich ein Ziel setzt, tut gut daran, es schriftlich zu fixieren und diese Verschriftlichung so aufzuhängen, dass man mehrfach pro Tag daran erinnert wird. Bei meinen Schülern arbeite ich gerne mit einem Ziele-Zeitstrahl, auf dem ich eintrage, wo wir im Augenblick stehen und in welchen Etappen wir zum Ziel kommen. Diesen Ziele-Zeitstrahl klebe ich auf die Instrumentalschule oder den Sammelband, aus dem derzeit musiziert wird. So haben die Kinder und Jugendlichen die Ziele immer wieder vor Augen, sobald sie ihre Noten zur Hand nehmen.
Erfolge sicht- und hörbar machen. Mittels Audio- und Videoaufnahmen können Fortschritte dokumentiert und die Leistungssteigerung gut nachvollzogen werden: Wie klingt das Stück an Tag 1? Wie entwickelt es sich im Laufe der Zeit? So kann man zeigen, dass sich Durchhaltevermögen auszahlt und eine Etappe oder ein Ziel langsam in Sichtweite rückt. Die Übenden spüren die Zunahme ihrer musikalischen Kompetenz. Das motiviert. Zwar ist eine Leistungssteigerung nicht ausschließlich durch konsequentes Üben zu erzielen – es gehören noch viele weitere Faktoren, wie beispielsweise qualifizierter Unterricht hinzu –, die Zehntausend-Stunden-Regel von Anders Ericsson zeigt aber eindrucksvoll, dass eine hohe Übezeit zumindest ein möglicher Weg ist, wenn es darum geht, gute musikalische Leistungen zu erzielen.
Spieltrieb wecken. Wenn durch Challenges der Spieltrieb geweckt wird, stehen die Chancen gut, dass diese Herausforderungen den Schüler weit voran bringen können Man sollte aber nicht außer Acht lassen, dass man beim ‚Spielen‘ auch verlieren oder sich unter Druck gesetzt fühlen kann. Im Instrumentalunterricht sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass die Challenge positiv wahrgenommen werden kann. Jemanden für eine geringe Übezeit vor den anderen Mitspielern bloßzustellen oder ihm zu vermitteln, dass der geleistete Beitrag nichts wert ist, ist natürlich völlig indiskutabel und muss auf jeden Fall vermieden werden. Vielmehr sollte mit klug gewählten Challenges der Teamgedanke einer Gruppe oder der eigenen Musikklasse gestärkt werden.
Motivationsspirale umkehren. Die dreiteilige Motivationsspirale, bestehend aus den Faktoren Üben – Fortschritt – Motivation, zeigt uns, wie die Motivation beim Musizieren entwickelt wird und wie alle drei Faktoren voneinander abhängen. So machen Schüler, die wenig üben, auch häufig wenig Fortschritte und haben nur wenig Motivation. Diese geringe Motivation hält sie wiederum vom Üben ab, Fortschritte bleiben aus und die Motivation sinkt noch stärker. Hier kann eine selbst gewählte musikbezogene Challenge entgegenwirken, durch die kurzfristig die Übezeit gesteigert wird. So entstehen Fortschritte, die sich in neuer Motivation widerspiegeln.
Häufig kommt es in der Unterrichtspraxis zu spontanen Einfällen für Challenges. So haben Kinder und Jugendliche in meinem Trompetenunterricht Formate wie die Tonleiter-, Etüden- oder Doppelzungen-Challenge erfunden und diese selbständig oder mit anderen gemeinsam durchgeführt. Auch die Easy Concert Pieces-Challenge wird immer wieder als Unterrichtselement gewünscht. Hier möchten meine Schüler eine komplette Ausgabe dieser Sammelbandreihe erarbeiten um ein Heft ‚aufzusteigen‘. Auch gewisse Etüden, die jahrelang in meinem Notenregal verstaubten, haben durch diese Challenges neuen Charme gewonnen und werden nun begeistert gespielt.
Sicherlich ersetzen Challenges nicht die etablierten und wichtigen Eckpfeiler im Schuljahr wie das Ensemblespiel, Schülervorspiele, Stufenprüfungen oder die Wettbewerbsteilnahme. Der Fokus liegt bei Challenges häufig auf dem Spieltrieb, auf dem Wunsch junger Menschen, eine sichtbare Leistung erbringen zu wollen, sich ‚upleveln‘ zu wollen. Ob sich das auch mit Ihrer Musizier- oder Unterrichtsphilosophie zusammenbringen lässt, bleibt Ihnen selbst überlassen. Die hohe Motivation, die meine Schüler hieraus ziehen und die vielen begeisterten Rückmeldungen von Musikpädagogen zu Challenges im Instrumentalunterricht zeigen mir, dass sie eine wertvolle Ergänzung im Erlernen eines Instruments sein können.
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zu Stretta Music Weltweit wechseln auf Stretta Music Österreich bleibenKristin Thielemann studierte Orchestermusik, Trompete und Musikpädagogik an der Musikhochschule Lübeck und war Stipendiatin der Richard-Wagner-Stiftung und der Münchner Philharmoniker. Bereits während des Studiums stand sie als Trompeterin im Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Vertrag.
Seit 2009 ist sie für den Verlag Schott Music tätig, wo sie viele Beiträge in Fachzeitschriften wie üben & musizieren verfasst, aber auch Notenausgaben für den musikpädagogischen Bereich veröffentlicht hat.
Ihr Ratgeber Jedes Kind ist musikalisch (Schott Music 2016) wurde ins Chinesische übersetzt und Voll motiviert! Erfolgsrezepte für Ihren Unterricht (Schott Music 2019) ist eine der meistverkauften Veröffentlichungen der praktischen Musikpädagogik. Ihre neusten Publikationen heißen Ganz schön wild! Besondere Schüler entspannt unterrichten (Schott Music 2021) und Digital jetzt! Wie Sie Ihren Unterricht medial bereichern (Schott Music 2022).
Kristin Thielemann ist als Dozentin zu Gast an Hochschulen und Universitäten, hält Fortbildungen für Musikpädagogen und Eltern-Vorträge. Sie moderiert den Musikpädagogik-Podcast „Voll motiviert“.