Random Progressions: Mit dem Zufall Jazz üben

von Patrick Hinsberger (14.04.2023)

Auch beim Üben gilt: Qualität schlägt Quantität. Viel ausschlaggebender als die Summe der investierten Stunden mit unserem Instrument ist die Frage, wie wir diese Zeit nutzen. Ununterbrochenes, monotones Wiederholen schwieriger Passagen ist da nicht immer hilfreich. Kreativität ist gefragt. Oder Zufall: mit Random Progressions lassen sich leicht eine Vielzahl von personalisierten Übungen kreieren, die perfekt auf unser Können abgestimmt sind.

Patrick Hinsberger

Foto: © Jana Haus

Patrick Hinsberger |

Homepage: http://patrickhinsberger.de/

Patrick Hinsberger studierte Jazz-Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab. Mit seiner Band patrick hinsberger group vermengt er traditionelle Elemente eines Jazz-Sextetts mit den Einflüssen moderner elektronischer Musik.

Daneben ist er als Sideman für verschiedene Pop- und Jazz-Formationen aktiv (Silent Explosion Orchestra, Tonkult Bigband, Kicks’n Sticks, billet doux) und betreibt einen Blog mit Podcast (Wie übt eigentlich..?) rund ums Thema Üben: What Is Practice?

Abwechslung fördert die Lernbereitschaft im Gehirn

Die Fähigkeit, ein Musikstück in einer bestimmten Art und Weise spielen zu können, ist gut und wichtig. Sie führt allerdings noch lange nicht zu technischer Sicherheit und musikalischer Vielseitigkeit. Das haben verschiedene Studien bereits gezeigt (z. B. „It's Not How Much; It's How: Characteristics of Practice Behavior and Retention of Performance Skills“). Varianten- und abwechslungsreiches Üben hilft, genau diese Sicherheit für Konzerte auch in Probe-Situationen zu trainieren. Dabei ist es irrelevant, ob wir diese Varianten letztlich auch beim Konzert nutzen werden. Sie helfen uns, weiter angeregt und interessiert zu üben und im besten Fall sogar in einen Flow-Zustand zu kommen (vgl. z. B.: Wie geht Üben im Flow?)

Im Flow mit Random Progressions

Eine wichtige Voraussetzung, um in einen Flow-Zustand zu kommen, ist die perfekte Abstimmung der Übung auf unser Können. Sie sollte nicht zu leicht sein, da wir uns sonst langweilen. Aber auch zu anspruchsvoll ist nicht gut, weil wir sonst frustriert aufgeben. Wir suchen also nach dem Sweetspot: dem Grad an Anforderung, der leicht über unseren aktuellen Fähigkeiten liegt. Die Random Progressions sind ein Tool, um solche Übungen für sich selbst zu erschaffen.

Eine Übung – viele Anwendungen

Wie ihr Name vermuten lässt, sind Random Progressions eine zufällige Anordnung von zwölf Akkorden, Tönen oder Tonarten, je nachdem, für welche Übe-Idee Du Dich entscheidest. Dabei gilt: Je ausgefallener und weniger logisch, desto besser.

Wenn Du am Anfang Schwierigkeiten hast, Dich für eine beliebige Reihenfolge zu entscheiden, empfehle ich Dir die Webseite TwelveTones. Der Zufallsgenerator liefert Dir bei jedem Aktualisieren eine neue Zwölftonreihe, mit der Du sofort loslegen kannst.

Die Besonderheit der Random Progressions: Du bestimmst Schwierigkeit und ihren Einsatz. Sie ist daher ebenso für Fortgeschrittene wie Einsteiger interessant.

Nehmen wir folgende Zwölftonreihe als Beispiel:

Warm-Up

Diese Reihe kann Dich nun über Deinen ganzen Übetag hindurch begleiten. Sofern Du ein Blasinstrument spielst, eignet sich diese Reihe perfekt, um mit Long Tones Deine Übe-Einheit zu starten.

Skalen und Akkorde

An Klavier, Gitarre oder Bass könntest Du Deine Finger aufwärmen, indem Du die Töne der Reihe als Ausgangspunkt für Skalenübungen hernimmst. Das können am Anfang die Dur- / Moll-Skalen sein, später aber auch spezielle Dominant-Skalen (HM5, alteriert etc.) oder symmetrische Skalen wie Halbton-Ganzton / Ganzton-Halbton. Auch Bläser können mit dieser Reihe Skalen trainieren.

Als nächsten Schritt könntest Du gebrochene Dreiklänge spielen: Gib dazu am besten den Tonbuchstaben jeweils eine Farbe für jede Dreiklangsart (Dur, Moll, vermindert, etc.). Erweiterung: Übe die Akkorde auch jeweils in ihren Umkehrungen. Je nach Akkord und Tempo kann man da schon einmal schnell ins Grübeln kommen.

Wenn das für Dich im ersten Schritt zu anspruchsvoll sein sollte, kannst Du zunächst Intervalle trainieren, die Du im Voraus festlegst.

Progressions

Im Jazz gibt es eine Vielzahl von Akkordverbindungen, die uns immer wieder begegnen. Die bekannteste ist sicher die II-V-I-Verbindung. Die Random Progressions können hier Ausgangspunkt für eine Vielzahl an Übungen sein.

  1. Zunächst könntest Du Dir vorstellen, dass jeder Ton in der Zwölftonreihe jeweils für den Zielakkord (I-Chord) steht. Eine mögliche Übung wäre nun also die entsprechende II-V-Verbindung zum Zielakkord mitsamt Auflösung zu spielen, anfangs vielleicht noch mithilfe von Dreiklängen oder Skalen(fragmenten), später dann über Licks oder eigene Tonfolgen.

    II-V-I für die ersten beiden Töne der Beispielreihe: Bb und E

  2. Du kannst Dir auch vorstellen, dass die Töne der Zwölftonreihe die Dominante (V-Chord) symbolisieren und Du den dazugehörigen II-Chord spielst. Diese Übung ist besonders hilfreich, wenn es darum geht, andere Akkordfarben über Dominanten anzudeuten (z. B. in der Bridge von „I Got Rhythm“). Der Fantasie sind natürlich hier keine Grenzen gesetzt und im Grunde ist jede Progression denkbar. Auch hier lassen sich Licks oder Melodien abwechslungsreich durch alle Tonarten üben – eine Fähigkeit, die wir gerade als Jazz-Musiker nicht unterschätzen sollten.

Weiterführende Lehrbücher:

Quellen:

  1. Susan Williams: „Optimal Üben“.
  2. Gerhard Mantel: „Einfach üben“.
  3. Burzik, Andreas: „Üben im Flow. Eine ganzheitliche, körperorientierte Übemethode“, in: Ulrich Mahlert, „Handbuch Üben“, S. 265 – 286.
  4. Robert A. Duke, Amy L. Simmons and Carla Davis Cash: „It's Not How Much; It's How: Characteristics of Practice Behavior and Retention of Performance Skills“, in: „Journal of Research in Music Education“ 56/4 (Jan., 2009), Sage Publications, Inc., S. 310-321.

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