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Abwechslung schaffen
Kürzlich kam ein 18-jähriger Schüler zu mir, der über TONIC gleichaltrigen Jugendlichen beim Üben zugehört hatte: „Da gibt es welche, die spielen einfach immer nur durch und merken gar nicht, dass es sich jedes Mal gleich schrecklich, oder sogar immer schlimmer anhört!“ Stimmt – denn wenn abwechslungsreich geübt wird, helfen wir unserem Gehirn, Konzentration und Aufmerksamkeit zu bewahren, wohingegen stupides Durchhudeln gelangweilt abschalten lässt und Flüchtigkeitsfehler meist nicht lange auf sich warten lassen.
Und wie geht denn nun abwechslungsreiches Üben? Meinen Schülerinnen und Schülern bringe ich meist recht zügig die Übemethodik „Straßenverkehr“ bei, die ich in „Voll motiviert – Erfolgsrezepte für Ihren Unterricht“ beschrieben habe. Mittlerweile haben sich Methodenkärtchen dazugesellt, mit denen sich diese Technik sehr viel leichter merken und einsetzen lässt. So bleibt das Üben spannender, weil hier viele Gamification-Elemente eingebaut sind. Gamification-Elemente sind das, was Sie beim Gesellschafts- oder Computerspielen bei der Stange hält, also beispielsweise Zeitverknappung (… vielleicht doch Mutters Eieruhr!), zu bestehende Hindernisse, ein neues Level, Glücksmomente, Ereigniskarten, das Sammeln von Tokens oder Coins und das Sichtbarmachen von Erfolgen.
Auf diese Weise bekommt die zu übende Musik spielerisch die Flexibilität, die sie braucht, um zum einen sicher ausgeführt zu werden und zum anderen die nötige Spontaneität und musikalische Gestaltungskraft zu besitzen.

Einige Methodenkärtchen
Das Herzstück des Übens
Und schon bin ich nämlich mit den Schülerinnen und Schülern mittendrin in einer spannenden Übereise. Ich bin da, wo die Wiederholungen Freude bereiten und wir gemeinsam gerne ein Stück beackern. Nicht zuletzt kommt das Wort „Übung“ ja auch ursprünglich vom Althochdeutschen „uobunga“ und bezog sich auf die Landwirtschaft und die Pflege oder das Beackern der Felder, aber es hatte auch Bedeutungen wie „Eifer“ oder „Geschäftigkeit“ (Etymologisches Wörterbuch des Deutschen). Daraus entwickelte sich nach und die heute geläufige Definition des Übens als „etwas sehr oft [nach gewissen Regeln] wiederholen, um es dadurch zu lernen“ (Duden). Unser etymologisches Erbe will uns also erzählen, dass das Üben schon immer etwas war, was mit Sorgfalt, Beständigkeit und Hingabe die besten Ergebnisse erzielt hat.
Üben als Persönlichkeitsentwicklung
Und die Sorgfalt, Beständigkeit und Hingabe sind eben auch die Dinge, die jeder, der übt, gleich frei Haus mit dazulernt: Geduld, Ausdauer, Resilienz – und manchmal eben auch das Erkennen der eigenen Grenzen! Daher lernen wir beim Üben eines Instruments auch immer viel über uns selbst: Wie geduldig sind wir? Welche kreativen Übemöglichkeiten fallen uns für gewisse knifflige Stellen ein? Und letztlich ist das Üben auch die Beschäftigung mit unserer eigenen Motivation: Wie lange können wir den Willen aufbringen, uns wieder und wieder mit Dingen zu beschäftigen, die einfach nicht so gelingen wollen, wie wir es uns wünschen? Und wo ist überhaupt unser Ziel? Schaffe ich es, einen Fehler als Hinweis darauf zu nehmen, wo ich noch wachsen kann und Potenzial habe, oder ist ein Fehler für mich schlicht etwas Böses, das es auszumerzen gilt? Wollen wir diese Musik so spielen, wie der Solist XY, von dem wir kürzlich ein Video auf YouTube gesehen haben, oder wollen wir etwas völlig Eigenes daraus machen? Wie sehr will ich mich den vorgegebenen Angaben in der Musik anpassen und inwieweit sind mir musikalische Traditionen so wichtig, dass ich bereit bin, sie in meine Interpretation zu übernehmen? Und wie halten wir es mit der Kritik oder einem Feedback zu unserem Spiel? Es gehört schon viel dazu, eine etwas weniger schmeichelhafte Rückmeldung anzunehmen, gut wegzustecken und daran zu wachsen, statt daran zu zerbrechen. So ist das Üben eines Instruments auch eine Art Charakterbildung für uns selbst, denn Tugenden wie Beharrlichkeit, Durchhaltewillen und der Umgang mit Rückschlägen werden trainiert und bestenfalls gestärkt. Zudem müssen wir uns immer wieder mit musikalischen Vorgaben und Traditionen auseinandersetzen.
Eine immerwährende Reise
Dabei ist für mich das Schöne an der Musik, dass es eigentlich keine weitere Belohnung von außen braucht: Der Lohn ist, dass die immer hochwertiger klingende Musik durch beständiges Üben selbst zur Auszeichnung wird! Verständlich finde ich, dass Menschen, die noch nicht so sehr daran gewöhnt sind, welche Metaebenen sich im Üben verbergen, zunächst vielleicht einfach nur gegen die Uhr üben – in meinem Falle die Eieruhr. Wobei ich es nicht unbedingt falsch finde, sich einen bestimmten Zeitrahmen fürs Üben zu reservieren – das mache ich heute genauso. Aber ich verbringe diese Zeit als Qualitätszeit mit mir selbst, weil ich weiß, dass ich am Ende nicht nur bestimmte Dinge auf meiner Trompete noch besser spielen kann, sondern auch, weil ich durch das Üben wachse, Geduld mit mir selbst lerne und eine tiefere Verbindung zu meiner Musik und meinem inneren Selbst finde. Es ist eine Reise, die nicht nur mein Spiel, sondern auch meinen Charakter formt. Für mich hat das Üben also auch immer etwas Besonderes und Erhabenes. Dazu nehme ich mir gerne einen wunderbar duftenden Tee oder Kaffee mit in mein Musikstudio, mache es mir dort gemütlich und zelebriere diese besondere Zeit.
Alle wichtigen Gedanken, Erkenntnisse und Fortschritte, die ich beim Üben mache, notiere ich mir in einem kleinen Notizbuch, manchmal auch in einer Übe-App. So kann ich den Lernprozess nachvollziehen und entdecke beim Anschauen häufiger gute Übetipps, die beinahe in Vergessenheit geraten sind. Zudem motiviert es mich, wenn ich sehe, welche Wege ich bereits beim Üben gegangen bin.
Mit all diesen Gedanken im Gepäck, würde ich also durchaus sagen, dass das Üben auch immer eine philosophische Komponente hat. Das Üben ist eine Reise, die niemals endet – wie die liegende Acht, das Symbol der Unendlichkeit, ein Gleichgewicht, was hergestellt werden will, und ein ewiges Auf und Ab, bei dem es zwar viele wichtige Haltestellen, aber kein wirkliches Ziel gibt. Das Üben ist ein Prozess des Lernens, des Wachsens und Entdeckens, was uns bis ins hohe Alter begleiten kann und was im Anfangsunterricht genauso wichtig ist wie für Profis. Egal, auf welchem Niveau wir musizieren oder mit welchem Ziel wir unser Instrument spielen – mein Tipp an Sie ist, die Übezeit als ein Geschenk an sich selbst zu betrachten und als eine Gelegenheit, auf vielerlei Ebenen zu wachsen. Vor allem aber bietet sie die Chance, sich selbst immer besser kennenzulernen und die beste Version von sich selbst zu werden – musikalisch wie persönlich. Auch hier werden wir wohl niemals ankommen, aber gerade darin liegt die Schönheit: in der stetigen Weiterentwicklung, im Entdecken neuer Facetten und im Erleben der Reifung des Prozesses; es ist die Reise, die uns prägt, nicht das Ziel, und jede Übeeinheit ist ein weiterer Schritt auf diesem unendlichen Pfad.