Ganz schön wild!

Praxistipps für den Unterricht mit unruhigen Schülern

von Kristin Thielemann (05.11.2021)

Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie vor einer Gruppe stehen, in der einige Kinder zappelig sind und mit ihrer Unruhe andere anstecken? Was tun, wenn ein Schüler im Einzelunterricht immer mit den Gedanken woanders ist und sich einfach nicht konzentrieren kann? Für meine Publikation Ganz schön wild – Besondere Schüler entspannt unterrichten habe ich mich auf Spurensuche begeben und viele wirkungsvolle Praxistipps zusammengestellt.

Temperamente können ganz unterschiedlich sein. Manche Schüler verhalten sich im Unterricht unauffällig, machen mit und kommen gut voran. Andere sind schnell abgelenkt, impulsiv, frech und machen es sich mit ihrem Verhalten selbst schwer (im Gruppenunterricht auch anderen Schülerinnen und Schülern), Fortschritte zu machen, beim Musizieren in den Flow zu geraten und begeistert zu musizieren.

Doch was können wir als Musikpädagoginnen und Musikpädagogen tun, um diesen Kindern und Jugendlichen zu helfen, dem Unterricht zu folgen und ihr Potenzial in der Musik voll auszuschöpfen?

Es gibt mehrere Parameter in unserem Unterricht, die einigermaßen leicht angepasst werden können und schon für viel Ruhe sorgen können: Dazu zählen neben einer Raumgestaltung, die so wenig Ablenkung wie möglich bietet, auch die Unterrichtsatmosphäre und unser Umgang mit Störungen. Auch eine gute Unterrichtsstruktur kann helfen.

Raumgestaltung

Nicht immer haben wir einen großen Einfluss auf die Gestaltung unseres Unterrichtsraumes, aber auch aus mancher prekären Raumsituation lässt sich mit etwas Kreativität etwas Gutes machen: Versuchen Sie, Ihren Raum so aufgeräumt und ablenkungsfrei wie möglich zu halten. Sie können unaufgeräumte Tische oder Regale mit weißen Leinentüchern abdecken, sich fragen, ob wirklich jedes Poster oder Foto an der Wand dort hängen muss, und selbst überprüfen, ob Lampen oder Deckenlichter eher blenden und nervös machen oder für eine angenehme Beleuchtungssituation sorgen. Häufig hilft es schon, sich zu fragen, welche die ruhigste Ecke des Zimmers ist, in die ein Schüler beim Musizieren schauen könnte, um dann den Notenständer entsprechend umzustellen.

Unterrichtsatmosphäre

Sind Sie selbst vielleicht ein eher unruhiger oder aufgeregter Typ? Gerne spiegeln Schüler unsere Verhaltensweisen und spüren auch unsere Unruhe, Stichwort Spiegelneuronen (s. u. „Umgang mit Stress“). Eine kurze Pause vor einer Lektion, die uns Lehrkräften hilft, herunterzukommen und wieder etwas gelassener zu werden und uns zu fokussieren, ist schon viel wert. Vielfach sprechen wir auch schneller und höher, wenn wir aufgeregt sind. Versuchen Sie hier, Ihr eigenes Tempo zu drosseln. Ruhige und eher tiefere Stimmen wirken beruhigend auf unser Gegenüber.

Auch können wir zu einer guten Unterrichtsatmosphäre beitragen, indem wir regelmäßig an einer guten Lehrer-Schüler-Beziehung arbeiten. Viele Schüler sind es heute nicht mehr gewohnt, einer autoritär auftretenden Lehrkraft gegenüber zu stehen, sondern kennen das Lernen auf Augenhöhe. Sie fühlen sich wohl, wenn sie das Gefühl haben, von ihrer Lehrkraft so akzeptiert zu werden, wie sie sind, und mit all ihren Wünschen, Fragen und Nöten willkommen zu sein.

Unterrichtsstruktur

Eine Struktur, die für unsere Schülerinnen und Schüler leicht nachvollziehbar ist, hilft ihnen, sich innerhalb einer Unterrichtsstunde zu orientieren. Wer weiß, dass der vielleicht ungeliebte und anstrengende Technik-Block mit Tonleitern zu Beginn der Lektion immer vom Stundenelement ‚Lieblingsstück‘ abgelöst wird, kann auch die weniger beliebten Einheiten leichter überstehen, weil er sich innerlich schon auf die nächste freut. Stundenabläufe sichtbar zu machen, aufzuschreiben oder mit echten Bausteinen zu arbeiten, kann hier eine große Hilfe sein. Auch die Mitbestimmung eines Schülers im Stundenablauf ist sehr nützlich, um auf Schülerideen besser einzugehen. So können Sie mit mehr Ruhe und Motivation der Schüler rechnen.

Tim: „Ich will unbedingt mal das neue Stück von Ed Sheeran spielen können!“
Lehrkraft: „Gute Idee! Soll ich die Noten heraussuchen, während du mir deine Tonleiter-Übungen vorspielst? Dann können wir gleich danach mit diesem Stück anfangen!“

Zur Autorin

Kristin Thielemann (Homepage: https://www.vollmotiviert.com/) studierte Orchestermusik, Trompete und Musikpädagogik an der Musikhochschule Lübeck.

Seit 2009 veröffentlicht sie für Schott Music zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften sowie eigene musikpädagogische Notenausgaben und Ratgeber.

Sie hält Vorträge und ist gefragte Dozentin auf Fortbildungen für Hochschulen, Universitäten und Musikschulen und moderiert den Podcast „Voll motiviert“. ...

Umgang mit Störungen

Auch der Umgang mit Störungen will gelernt sein. Eine vollständige Abhandlung hierüber würde den Umfang dieses Beitrags sprengen. Generell gilt aber: Wenn wir unsere Regeln klar machen und sie auch in den ersten Unterrichtsmonaten konsequent durchsetzen, haben wir schon viel gewonnen.

Da unsere Regeln dazu gedacht sind, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, tun wir gut daran, zu Beginn des Unterrichts dieses Ziel auch zu nennen:

„Wir wollen gemeinsam schöne Musik machen. Dazu brauchen wir eine ruhige Arbeitsatmosphäre. Ich öffne die Tür zum Proberaum immer fünf Minuten vor der Probe. Ihr packt die Instrumente auf den Tischen dort hinten aus und setzt euch auf euren Platz. Legt eure Noten und den Bleistift auf den Notenständer. Wer sitzt, darf in der Aufwärmzeit bis 18 Uhr spielen, was er möchte, aber nur so laut, dass er alle anderen auch noch beim Spielen gut hören kann. Sobald ich vorne ans Dirigentenpult trete und die Arme hebe, ist das das Zeichen für Stille!“

Je jünger oder unruhiger die Gruppenmitglieder sind, desto klarere Regeln benötigen sie. Also lieber auf zwei oder drei eindeutige Regeln setzen und diese auch über einen längeren Zeitraum immer wieder trainieren, als einen Regelkatalog auszuhängen, dessen Punkte oder Einhaltung Sie selbst kaum kontrollieren können.

Bei hartnäckigen Störern bietet sich immer ein Vier-Augen-Gespräch vor oder nach einer Lektion an, in dem Sie gemeinsam mit dem oder der Störenden eine gute Lösung finden. Eine Lösung kann so aussehen:

„Versuchen wir, dass du die ersten 20 Minuten der Stunde absolut nicht auffällst. Danach habe ich Kraft, dich noch drei Mal daran zu erinnern, dass du ruhiger sein wolltest. Klappt das nicht so gut, setzt du dich an den Tisch in der Ecke, an dem es etwas für dich zum Ausmalen gibt und ich arbeite mit der Gruppe weiter.“

Hilfe für Zappelphilipp und Pippi Langstrumpf

Nicht jedes Stören ist auch ein Stören durch lautes Verhalten. Häufig wirken zappelige Kinder und Jugendliche auf uns unruhig, obwohl sie gar nichts sagen. Insbesondere junge Menschen haben einen starken natürlichen Bewegungsdrang, den wir nicht unterschätzen sollten. Selbstverständlich ist ein Musikzimmer kein Sportplatz, aber Bewegungsübungen oder Musikspiele mit Bewegungsinhalt können helfen, diesem Bewegungsdrang Rechnung zu tragen. Das können schon ganz einfache Elemente sein: Lassen Sie Ihre Schüler einen Rhythmus hüpfen oder fragen Sie Musikbegriffe oder Intervalle ab, während Liegestützen oder ‚Hampelmann‘ gemacht wird.

Häufig wirken einige Schüler auch nur so unruhig, weil sie ihre Bewegungen nicht gut kontrollieren können oder sie gar nicht wahrnehmen. Hier kann ein Training der Feinmotorik helfen, wie es in Ganz schön wild – Besondere Schüler entspannt unterrichten beschrieben ist: Balanceübungen für den Unterricht, Körperübungen mit Stiften oder Luftballons sind schnell und ohne große Vorbereitung in eine Lektion eingebaut und können sehr viel Gutes bewirken.

Umgang mit Stress

Kennen Sie das Gefühl, dass das Unterrichten einiger Schüler eine regelrechte Euphorie in Ihnen erzeugt, während Sie sich nach Lektionen mit anderen völlig leer und ausgebrannt fühlen? Auf meinen Fortbildungen berichten Lehrkräfte häufig von solchen Situationen. Dabei hat es gar nicht immer mit dem Arbeitspensum zu tun, dass wir bestimmte Schüler als anstrengend empfinden. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Einer können unsere Spiegelneuronen sein. Sie wurden erstmals 1992 vom italienischen Neuropsychologen Giacomo Rizzolatti und seinem Team beschrieben (Understanding motor events: A neurophysiological study).

Die Forscher konnten feststellen, dass wir mit den Spiegelneuronen in unserem Gehirn Gefühle unseres Gegenübers wahrnehmen und in uns selbst spiegeln. Das heißt, dass wir plötzlich das fühlen, was wir in unserem Gegenüber wahrnehmen. Wir werden beispielsweise nach dem Zusammensein mit einem fröhlichen Menschen von dieser Frohnatur regelrecht angesteckt und sind selbst auch für eine gewisse Zeit fröhlicher.

Das umgekehrte Beispiel, wenn wir mit einem ‚Miesepeter‘ zusammen sind, kennen wir sicher auch aus eigener Erfahrung. Der Kontakt zu diesen Nörglern und Schwarzsehern bewirkt, dass wir selbst alles auch eher negativ wahrnehmen und eine Weile benötigen, um uns davon wieder freizumachen.

Wenn wir also die Sache mit den Spiegelneuronen einmal auf unseren Unterricht übertragen, können wir manche unserer eigenen Reaktionen besser verstehen: Wenn der Schüler, der wie ‚Flasche leer‘ wirkt, weil er sich nach einem Schultag mit Prüfungen und Hausaufgaben einfach nicht mehr gut fühlt, trotzdem pflichtbewusst bei uns im Musikunterricht erscheint, fällt uns dieser Zustand bei unserem Gegenüber natürlich auf. Manchmal bewusst, manchmal unbewusst, denn nicht alle Menschen zeigen ihre Gefühle so deutlich. Häufig beginnen wir uns dann unwillkürlich selbst ausgelaugt zu fühlen, selbst wenn wir eigentlich zuvor motiviert und fröhlich waren.

Doch wie können wir dem vorbeugen? Schließlich haben wir keinen Einfluss darauf, mit welchen Erlebnissen und in welcher Stimmung unsere Schülerinnen und Schüler in den Unterricht kommen.

Psychologen raten hier zu professioneller Distanz: Versuchen Sie die Gefühle Ihres Gegenübers wahrzunehmen und für sich selbst zu benennen. „Mein Schüler ist müde und schlecht gelaunt, weil er heute schon viel tun musste, was ihm eigentlich keinen Spaß macht.“

Dagegen setzen Sie Ihre eigene Stimmung: „Ich fühle mich gut, weil ich einen tollen Start in den Tag hatte und mich sehr aufs Musizieren mit meinen Schülern freue!“

Eine gute Lösung ist nun, Ihrerseits zu versuchen, die Spiegelneuronen Ihres Schülers zu beeinflussen und ihn mit Ihrer Musizierfreude und guten Laune anzustecken. Ich versuche in solchen Momenten häufig meinen Schüler mit etwas Lustigem zu überraschen, ihn zum Lachen zu bringen. Denn durchs Lachen steigt der Blutdruck, Müdigkeit verschwindet und Glückshormone werden ausgeschüttet. Kurzum: Wer lacht, fühlt sich meist recht schnell besser. In Ganz schön wild – Besondere Schüler entspannt unterrichten finden Sie gleich ein ganzes Kapitel zum Thema Glück mit vielen Beispielen für die Unterrichtspraxis.

Aber nicht nur Spiegelneuronen bewirken, dass wir uns nach manchen Stunden leer und ausgebrannt fühlen. Sehr häufig kosten uns genau die Stunden überdurchschnittlich viel Kraft, in denen das Ziel, das unser Schüler mit seinem Instrumentalspiel hat, nicht mit unserem Ziel, unserer persönlichen Philosophie vom Musizieren übereinstimmt. Eine Schülerin möchte gerne einfach ein paar coole Popsongs auf dem Klavier spielen, um ihre Freundinnen damit zu beeindrucken.

Sie selbst möchten natürlich, dass Ihre Schülerin nicht einfach nur ein wenig ‚herumklimpert‘, was irgendwie nach Pop klingt, sondern dass sie in Ihrem Unterricht einige Dinge erlernt, die ihr ein selbstständiges Musizieren auf höherem Niveau ermöglicht: Eine saubere Instrumentaltechnik, Noten- und Rhythmuslesen und ein wenig musikalischer Horizont, der über die ersten Takte von „Für Elise“ und der Fabelhaften Welt der Amélie hinausreicht.

Dieses Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Schüler- und Lehrerwünschen kann uns ebenfalls viel Kraft kosten und wir sollten Möglichkeiten finden, diese Situation zunächst für uns genau zu benennen, bevor wir das Gespräch mit unserer Schülerin suchen, um eine gute Lösung für alle Beteiligten zu finden.

Eigene Einstellung zu unruhigen Schülern

Waren Sie als Kind immer ein Engel? Ruhig, lieb lächelnd, immer top vorbereitet und niemals frech? Ich kann das nicht von mir behaupten. Aber ich bin in meinem Leben auf Lehrkräfte getroffen, auf Menschen, die es gut mit mir meinten und mir gezeigt haben, wie ich meine Unruhe und die vielen Ideen in schöne Musik verwandeln konnte. Besondere Lehrer, an die ich auch heute noch denken muss, wenn ich musiziere oder unterrichte. Diese besonderen Lehrer haben meinetwegen sicher auch so einiges an Nerven gelassen, aber sie haben mir immer das Gefühl gegeben, dass sie mich gerne auf meinem Weg begleiten oder mir helfen, dorthin zurückzufinden, wenn etwas nicht wie gewünscht gelungen ist.

Diesen besonderen Lehrern, diesen Menschen bin ich auch heute noch sehr dankbar, denn ohne sie wäre ich niemals da, wo ich heute bin. Ich wünsche Ihnen, dass auch Sie für möglichst viele Ihrer Schülerinnen und Schüler diese besondere Lehrkraft sind, an die Ihre Schützlinge ihr ganzes Leben denken, wenn sie mit Musik in Berührung kommen!

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