Intro: Reggae

Der Sound, die Klassiker und der Vibe

von Christian Geiger (01.06.2023)

In One love, one heart habe ich die Entstehungsgeschichte des Reggae zusammengefasst. Nun wollen wir unter die Lupe nehmen, was den Reggae musikalisch ausmacht, welche Lieder zu den absoluten Klassikern zählen und welche typischen Aufgaben einzelne Instrumente übernehmen, sodass Du Dich bei der nächsten Reggae-Jam an Deinem Instrument ausprobieren kannst.

Peter Tosh & Robbie Shakespeare, Bush Doctor Tour, Cardiff, 1978

Peter Tosh & Robbie Shakespeare, Bush Doctor Tour, Cardiff, 1978, Foto von Tim Duncan / CC 3.0

Keep it easy

Reggae ist auf den ersten Blick simpel. Es benötigt keine jahrelang hart erworbenen Fähigkeiten am Instrument oder ein tiefgreifendes tonales Verständnis, um selbst Reggae zu spielen. Einzig was Du mitbringen solltest, ist ein wenig Ahnung davon, welche Aufgabe Dein Instrument übernimmt, denn Reggae ist an klare Regeln gebunden.

Die Songstruktur ist einfach: Strophen wechseln sich mit Refrains ab. Auch harmonisch ist Reggae überschaubar: wenige Dreiklänge reichen für einen ganzen Song – manchmal ist sogar nur einer genug! Komplexe Akkorde wie im Jazz sucht man hier vergebens. Das mag erstmal monoton klingen, aber darin liegt ein Reiz, weil die häufigen Wiederholungen dafür sorgen können, in einen Trancezustand zu gelangen. Reggae soll nicht überfordern, damit man leicht darin versinken und dazu tanzen kann.

Halten wir fest: Minimalanforderungen für Musizierende, einfache Songstruktur und einfache Akkorde. Worin unterscheiden sich dann die Songs? Wie so oft steckt der Teufel im Detail. Doch zunächst noch ein paar weitere Grundlagen zur Rollenverteilung.

Die Hierarchie ist klar definiert

Reggae ist immer im 4/4-Takt gehalten. Ein typisches Songtempo liegt zwischen 50 und 80 Schlägen pro Minute und ist damit ziemlich langsam. Eine typische Bandbesetzung besteht aus Gesang, Schlagzeug, Bass, mindestens einer Gitarre und mindestens einem Klavier und einer E-Orgel (oder Keyboards mit entsprechenden Klängen). Bläser sind üblich, aber nicht unbedingt notwendig.

Klavier, Orgel, Gitarre

Charakteristisch für Reggae ist der Offbeat. Er heißt so, weil er zwischen den vier Zählzeiten erklingt. In der einfachsten Form betonen Klavier, Orgel und Gitarre gemeinsam die ‚und‘ zwischen den jeweiligen vier Zählzeiten.

Die Gitarre kann typischerweise auch im sogenannten Skank spielen: Sie fügt dem Offbeat eine Sechzehntel Nachschlag hinzu.

Die Orgel spielt den Offbeat häufig als Bubble: Mit jeweils einer Sechzehntel vor und nach dem Offbeat bildet sie so einen Rahmen. Wichtig ist hierbei, dass die beiden umrahmenden Sechzehntel mindestens eine Oktave tiefer erklingen als der Offbeat der Orgel. Wie sich das anhört? Wie in diesem Beispiel ab 01:05:

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Schlagzeug

Das Schlagzeug ist im Vergleich zum Offbeat etwas flexibler, aber auch etwas wichtiger, da es grundlegend den Groove bestimmt. Im Schlagzeug gibt es drei Standard-Beats, die vielfach variiert auftreten:

  1. Der Rockers, ein einfacher gerader Beat: Die Kickdrum (Tiefe Trommel) betont Schlag 1 und 3, die Snare (Kleine Trommel) erklingt auf Schlag 2 und 4 zusammen mit Achtel- oder Sechzehntel-Hi-Hats (Becken).
  2. Der Onedrop: Dieser bettet sich im Takt auf Schlag 2 und 4 zwischen den Offbeats und legt den rhythmischen Schwerpunkt weg vom sonst üblichen ersten Schlag. Achte bei Bob Marleys „One Drop“ auf das Schlagzeug, insbesondere auf die reduzierte Hi-Hat, und wie sie versucht, den Groove zu entschleunigen.
  3. Der Steppers: Bei diesem Reggae-typischen Drumbeat läuft die Kickdrum in Achteln durch, während die Snare die Schläge 2 und 4 wie gewohnt betont. Höre Dir einmal den Anfang (bis 0:40) von „Give Thanks“ an, wo das Schlagzeug um Percussion angereichert ist.

Bass

Nun fehlt noch ein Instrument. Wie vielleicht in keiner anderen Musikrichtung kommt dem Bass im Reggae eine besondere Bedeutung zu, er gilt gar als das wichtigste Instrument in der Band. Denn der Bass sorgt für den richtigen ‚Vibe‘ und entscheidet (wegen der klaren Vorgaben für die restlichen Instrumente) darüber, ob ein Song statisch oder groovy ist. Dafür muss der Bass mit den Notenwerten spielen, beispielsweise würde ein Walking Bass wie im Jazz (oder im frühen Ska) im Reggae nicht funktionieren. Also spielt der Bass kurze, sich wiederholende Melodien, die sie sich um den Offbeat tänzeln. Er ist dabei so tief, dumpf und vordergründig, als hätte er es sich zum Ziel gemacht, Dir das Hirn massieren zu wollen. Du glaubst mir nicht? Bitte, höre selbst.

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Der Teufel im Detail

Aus wenig viel zaubern, das ist die wahre Kunst im Reggae. Und das funktioniert! Wer sich nicht der Qual der Wahl an tonalen Möglichkeiten aussetzt, hat wesentlich mehr Zeit und Konzentration, sich kreativ auf vielleicht bisher unbekannte Weise zu entfalten. Wenn die Vorgaben des Instruments (insbesondere Klavier, Orgel und Gitarre) nicht viel kreativen Raum herzugeben scheinen, braucht es umso mehr Fingerspitzengefühl, um mit kleinen Variationen vergleichsweise große Wirkungen zu erzielen. Dabei muss nicht immer gespielt werden: Gute Reggae-Musizierende erkennt man unter anderem daran, dass sie sich nicht in soloähnlicher Manier in den Vordergrund spielen, sondern dass sie eher für einen oder mehrere Takte pausieren.

Weiterhin wissen geübte Reggae-Musizierende den Fokus auf das Klangerlebnis einzusetzen. Der Klaviersound eines Keyboards ist idealerweise bei jedem Song anders, um ihm einen eigenen musikalischen Stempel zu verpassen. Eine Gitarre kann zwischendurch mit Hall-Effekten (Reverb) oder WahWah (wie öffnende und schließende Dämpfer bei Bläsern) für genau den richtigen Grad an Abwechslung sorgen. Jedes Instrument kann den Offbeat über kurze melodische Einheiten variieren. Solche kleinen Eingriffe sorgen dafür, dass eben keine Monotonie aufkommt, ohne dass das „entspannte“ Grundgerüst ins Wanken gerät.

Das Faszinierende im Reggae ist es mitunter, die Kreativität der Musizierenden anhand der wenigen und subtilen Abweichungen zu erkennen. Es braucht im Reggae nicht das beste Solo, den durchdachtesten Break oder den Refrain mit größtem Wiedererkennungswert. Es braucht schlichtweg das Gefühl für den Vibe und die Bereitschaft, sich zurückzunehmen. Manchmal leichter gesagt als getan. „Stir It Up“ von Bob Marley & The Wailers verdeutlicht gut, wie der Bass eine melodische Funktion in der Rhythmusgruppe einnimmt und direkt ins Ohr geht, während die üblichen Instrumente sich neben dem Offbeat-Fundament auf kleinere Einwürfe beschränken. Das Solo zum Schluss legt besonderen Wert auf eine Sanglichkeit.

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Nehmen wir als zweites Beispiel noch „Waterpumpee“ der Berliner Reggae- und Dancehall-Band Seeed. Vordergründig schaffen die Sänger viel Variation durch unterschiedliche Stimmen, Lagen oder Rhythmen, Bläser sorgen für einen Ohrwurm und setzen Akzente. Aber auch die kleinen Variationen machen es aus! Es setzen regelmäßig Bass & Schlagzeug (0:18 oder 0:42, 1:12, 1:35… ) für einen Takt aus. Indem so die Energie kurzzeitig zurückgenommen wird, werden Formteile voneinander getrennt, und durch die Wiederkehr von Bass und Schlagzeug wirken die Instrumente umso intensiver.

Das Klavier bekommt immer wieder einen Delay-Effekt (Echo), der häufig mit den Lücken durch Bass & Schlagzeug zusammenfällt. Die Echos (0:42, 0:52, 1:09, 1:35…) schwingen nicht im selben Tempo wie der Beat mit, was eine entschleunigende Wirkung hat. Hier hat die Rückkehr zum regulären Offbeat eine Ankerfunktion.

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Klassiker für den Einstieg

Nachdem Du die grundlegenden Prinzipien von Reggae und mögliche Arten von Variation kennengelernt hast, kannst Du Dir nun die folgenden Klassiker anhören und darauf achten, wie Reggae dort interpretiert wird, und wie sich die Songs voneinander unterscheiden.

Peter Tosh – „Legalize It“

Peter Tosh war vor seiner Solokarriere eines der Gründungsmitglieder von The Wailers, der ersten weltweit erfolgreichen Reggae-Band überhaupt. Sein Song „Legalize It“ verdeutlicht den großzügigen Genuss von Marihuana, das in der Reggae-Szene und insbesondere bei den Rastafari äußerst beliebt ist.

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UB40 – „Red Red Wine“

145 Millionen Klicks auf YouTube sprechen für sich! „Red Red Wine“ ist ein Klassiker des Reggae und stammt von der britischen Band UB40. Jamaika war lange Zeit britische Kronkolonie, daher verwundert es nicht, dass Reggae in Europa zuerst in England populär wurde.

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„Real Rock Riddim“

Eine Eigenart im Reggae ist es, dass ein Riddim (so nennt man das Instrumental eines Reggae-Songs) von verschiedenen Interpreten zu verschiedenen Zeiten als Grundlage genommen und neu interpretiert wird. Der „Real Rock Riddim“ zieht sich seit Jahrzehnten durch die Reggae-Geschichte und gehört zum Standardrepertoire. Jede Interpretation klingt anders und doch ähnlich. Vergleiche es selbst:

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Horace Andy – „Jah Provide“

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Kabaka Pyramid – „Nice Up The Dance“

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Dennis Brown – „Stop The Fussing And Fighting“

Chronixx – „Here Comes Trouble“

Auch wenn dieser Song noch nicht so alt ist, fehlt er auf keiner Reggae-Party mehr. Er steht stellvertretend für eine neue Generation von jamaikanischen Reggae-Künstlern, die seit ca. 2010 bemüht sind, unter dem Stichwort ‚Modern Roots‘ das Erbe des ursprünglichen Roots-Reggae wieder aufleben zu lassen.

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Eric Donaldson – „Cherry Oh Baby“

Donaldons Lied über eine unerwiderte Liebe ist ähnlich wie der „Real Rock Riddim“ ein mehrfach gecoverter Song im Reggae-Universum – und darüber hinaus! Denn nicht nur Seeed fertigte eine Interpretation an, auch die legendäre Rock-Band The Rolling Stones trug sich in die Liste der Cover-Versionen ein.

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Reggae – Noten, Lehrbücher & Tabs

Alle Noten zu Reggae / Ska

One love, one heart – Über den Reggae und seine Ursprünge

One love, one heart – Über den Reggae und seine Ursprünge

Reggae – das sind Summer Vibes auf der immer sonnigen Karibikinsel Jamaika, Bob Marley, Dreadlocks und Marihuana. Diese gängigen Klischees sind zwar nicht aus der Luft gegriffen, sie spiegeln allerdings nur einen ganz kleinen Teil des Musikstils wider. Christian Geiger unternimmt einen Gang durch die Entstehungsgeschichte des Reggae (über den Ska und den Rocksteady) und klärt dabei die Frage: Was zeichnet den Stil eigentlich aus?

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